Die „Erheblichkeit“ als Korrektiv von rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen
Nachdem immer häufiger Abmahnwellen gegen Private, Blogger, Onlinehändler und sonstigen Unternehmern Anlaß zur Kritik gegeben haben, ist der Unmut über dieses Instrument der außergerichtlichen Streitbeilegung immer größer geworden. Bundesjustizministerin Zypries erwägt daher eine Reform des Abmahnwesens. Vorgesehen sind Deckelungen der Anwaltsgebühren, womit versucht werden soll „schwarzen Schafen“ unter den Anwälten, die sachfremde, nämlich „geldwerte“ Zwecke verfolgen, die Grundlage zu entziehen. „Einfach gelagerte Fälle dürfen nicht mehr als 50 Euro für Abmahnung und Anwalt nach sich ziehen“, so Bundesjustizministerin Zypries. Der neue Gesetzentwurf gilt jedoch nur für Fälle außerhalb des geschäftlichen Verkehrs und ist auf das Urheberrecht beschränkt. Ob diese Überlegungen auch auf das Wettbewerbsrecht ausgedehnt werden, ist ungewiss.
Unseres Erachtens ist eine solche einschneidende Maßnahme jedenfalls im Wettbewerbsrecht nicht erforderlich um rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen entgegenzutreten.
Das vorhandene Wettbewerbsrecht sieht Möglichkeiten vor, sich gegen Mißbrauch zur Wehr zu setzen. Eine sogenannte Bagatellklausel in § 3 UWG regelt, dass nur solche unlauteren Wettbewerbshandlungen unzulässig – und damit abmahnfähig – sind, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer erheblich zu beeinträchtigen. Diese Vorschrift gibt den Gerichten ein Instrument zur Begrenzung des Abmahnwesens an die Hand. Sofern ein Verstoß als nicht erheblich eingestuft wird, können die Abmahnung und die Anwaltskostenforderung als unberechtigt zurückgewiesen werden.
In der Begründung zum Regierungsentwurf des im Jahre 2004 neu inkraftgetretenen Wettbewerbsrechts wird ausgeführt, dass die Feststellung der Erheblichkeit eine nach objektiven und subjektiven Momenten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffende Wertung erfordert. Hierbei sind die Art und Schwere des Verstoßes, die zu erwartenden Auswirkungen auf den Wettbewerb sowie der Schutzzweck des Wettbewerbsrechts zu berücksichtigen. Eine nicht nur unerhebliche Verfälschung kann auch bei Verstößen mit nur geringen Auswirkungen für den Marktteilnehmer im Einzelfall vorliegen, wenn durch das Verhalten eine Vielzahl von Marktteilnehmern betroffen ist oder eine nicht unerhebliche Nachahmungsgefahr besteht.
Aktuelle Entscheidungen zeigen, dass Gerichte sich immer häufiger mit dem Korrektiv der Erheblichkeitsschwelle auseinandersetzen. Das Oberlandesgericht Koblenz beispielsweise hat in seiner Entscheidung vom 25.04.2006, Az. 4 U 1219/05, das Fehlen der Grundpreisangabe als unerhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs und damit als „Bagatellverstoß“ beurteilt. Gerade erst hat das Oberlandesgericht Hamburg unter Beachtung der Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG am 14. Februar 2007, Az. 5 U 152/06, entschieden, dass ein Verstoß gegen die unmittelbare räumliche Zuordnung der Mehrwertsteuerangabe beim Produktpreis nach der Preisangabenverordnung dann nicht erheblich sei, wenn diese Angabe später im Bestellvorgang gegenüber dem Verbraucher deutlich angegeben wird. Ob sich andere Gerichte diesen Rechtsauffassungen anschließen werden, bleibt abzuwarten.
Gleichwohl ist eine Tendenz festzustellen, dass im Bereich des „Abmahnwesens“ Gerichte durch eine verstärkte Anwendung der Bagatellklausel gemäß § 3 UWG rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen entgegentreten.
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[…] Vom neuen Gesetzesentwurf zur Entschärfung des kollektiven Abmahnbeschusses in unseren Breitengraden werden Unternehmen nichts spüren, da er nur Privatpersonen betreffen wird. Für unsereiner bleibt derweil die Hoffnung, dass der Trend zum vermehrten Hinzuziehen der Bagatellklausel bei den deutschen Gerichten anhalten wird. Bis dahin begrüße ich Inkubator-Konzepte wie Speedseed, die ihren Gründern von Haus aus eine umfassende rechtliche Beratung mit auf den Weg geben. […]
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