Filesharing = Ladendiebstahl? SternTV – Teil 2
Nachdem letzte Woche bei SternTV ein Beitrag zu dem Thema „Filesharing – Massenabmahnungen der Musikindustrie“ gesendet und daraufhin eine Flut von Fragen besorgter Eltern bzw. Betroffenen losgetreten wurde, befaßte sich SternTV gestern Abend erneut in einem Beitrag mit diesem brisanten Thema. Zu Gast war nunmehr ein Vertreter der Staatsanwaltschaften, der sich zu diesem Thema mit deutlicher Kritik und wie wir meinen zutreffend drastisch äußerte.
Staatsanwaltschaft nicht länger „Erfüllungsgehilfe der Musikindustrie“
Staatsanwalt Wiedemann von der Offenburger Staatsanwaltschaft will nicht länger als „Erfüllungsgehilfe der Musikindustrie“ fungieren. Nach seinen Angaben überfluten jährlich mehrere 10.000 Strafanzeigen gegen Unbekannt die Behörden, die allein den Zweck haben, den Anschlussinhaber für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu ermittteln. Die finanziellen sowie die menschlichen Kapazitäten sind aufgrund dieser Anzeigenflut schon lange überlastet.
Er stelle diese Verfahren daher grundsätzlich ein und ermittelt den Anschlussinhaber erst gar nicht. Er verglich diese Formen der Urheberrechtsverletzungen mit Ladendiebstählen, die ebenfalls reine Bagatelldelikte seien, und derart kostspielige und zeitaufwendige Ermittlungsmaßnahmen nicht zu rechtfertigen vermögen.
Es wäre unseres Erachtens nach zu begrüßen, wenn sich auch andere Staatsanwaltschaften einer solchen Bewertung anschließen würden.
Die Musikindustrie legitimiert ihr aggressives Vorgehen – es werden immerhin Zahlungen von 3.000,00 EUR bis zu 10.000,00 EUR von den Betroffenen gefordert – mit den „immensen“ Schäden, die die Musikindustrie angeblich aufgrund illegaler Nutzung von Tauschbörsen im Internet erleidet.
Es gibt jedoch auch Studien, die genau das Gegenteil feststellen. Unserer Ansicht nach sollte die Musikindustrie den Wandel der Zeit – die Ankunft im digitalen Zeitalter – akzeptieren und auf diesen „digitalen Schnellzug“ aufspringen, anstatt eigene Versäumnisse im Nachhinein mit unangemessenen Verfolgungen angeblicher Straftäter zu verschleiern.
Spätestens seit Künstler wie George Michael ihre Musik kostenlos ins Internet stellen, die Gruppe Radiohead jüngst den Nutzern selbst die Bepreisung bei Download ihres neuen Albums überlässt oder Superstar Madonna ihre Plattenfirma für einen Konzertveranstalter verließ, ist offensichtlich, dass Musikdateien im digitalen Zeitalter ein flüchtiges Gut geworden sind und der CD-Verkauf „erdrutschartig“ schwindet. Das liegt ersichtlich nicht an der Nutzung digitaler Tauschbörsen und schon gar nicht durch minderjährige Schüler, sondern schlicht an dem veränderten Nutzungsverhalten der Kunden.
Wir haben letzte Woche bereits in unserem Posting „Vorbeugende Unterlassung gegen Abmahnung wegen Filesharing? Nein!“ auf den anwaltlichen Rat des Rechtsanwaltes Solmecke, eine vorbeugende Unterwerfung zu erklären, reagiert und unsere Meinung hierzu mitgeteilt. Wir raten allen Betroffenen dringend davon ab, aus „Sicherheitserwägungen“ vorschnell eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.
Die Gefahren, die eine solche „blinde“ Vorgehensweise bergen, sind sehr viel höher und insbesondere auch kostspielig. In der gestrigen Sendung wurde zu dem Thema „vorbeugende Unterlassungserklärung“ bedauerlicherweise nichts weiter gesagt. Dabei wäre es sehr interessant zu erfahren, ob nun tatsächlich potentiell Betroffene Unterwerfungserklärungen quasi im Vorfeld erwarteter Inanspruchnahmen wegen Urheberrechtsverletzungen abgegeben haben.
Denn stellt die Musikindustrie nach Zugang fest, dass Musikdateien über Filesharingsysteme veröffentlicht werden, so kann sie bei Vorliegen einer vorbeugenden Unterlassungserklärung sofort und ohne weiteres Zahlung aus dem Vertragsstrafeversprechen verlangen. Und der Erklärende steht dabei bereits aus technischen Gründen vor dem Problem, diese Verbreitung zu unterbinden. Diesen Eindruck bestätigte der gleichfalls in der gestrigen Sendung anwesende technische Experte – absolute Sicherheit im Umgang mit Internettauschbörsen gebe es nicht.
Alternativ wurde eine zulässige Möglichkeit des Musikdownloads vorgestellt – das Internetradio.
Es gibt kostenlose Softwareprogramme, die einen Mitschnitt der digitalen Radiosendungen und anschließend eine Auswahl der begehrten Musikstücke zum Abspeichern auf dem Computer ermöglichen. Diese Version des Musikdownloads ist rechtlich nicht zu beanstanden, da dieser Vorgang dem alten analogen Aufnehmen auf Musikkassetten vergleichbar ist.
Die Entwicklung des digitalen Zeitalters schreitet voran und eröffnet immer neue – rechtlich zulässige – Möglichkeiten des Nutzens von geistigem Eigentum. Wir hoffen insofern, dass auch die Politik diese Entwicklung in einer zu erwartenden „dritten Urhebernovelle“ aufgreift und umsetzen wird.
Ich denke so einfach kann man es sich nicht machen. Auch wenn ich mit der Kritik an der Vorgehensweise der Plattenindustrie grundsätzlich übereinstimme und die Vorgehensweise gerade gegen diejenigen, die vom Urheberrecht noch nie gehört haben für grundlegend falsch halte – die einfache Freigabe der Musik wäre der Tod der Musiker und damit auch aus Sicht des Hörers nicht wünschenswert. Dies erscheint mir doch etwas zu kurz gegriffen.
Bei den Aufnahmen aus dem Internet handelt es sich im Übrigen gerade nicht um einen Download sondern um einen Mitschnitt. Ein Downloadangebot von Radiostationen wäre als öffentliche Zugänglichmachung lizenzpflichtig.
@LC: Richtig – damit keine Missverständnisse aufkommen – wir meinen keineswegs, dass das Urheberrecht, etwa der Musiker, freizugeben ist. Das wäre zweifellos der falsche Weg.
Aber die Antworten, die bislang von der traditionellen Musik-, Video- und Filmwirtschaft aber auch den Verlagen und – wohl nicht ganz ohne Einflußnahme der jeweiligen Lobbyvereinigungen – des Gesetzgebers auf die Herausforderungen der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten und Verhaltensweisen gegeben werden, sind extrem rückwärtsgewandt und meiner Meinung nach vollkommen sachfremd.
Die hilflosen Versuche mit DRM (digital right management) Systemen machen dies offenkundig. Da gibt es klügere Ansätze, das Urheberrecht zu schützen, wirtschaftlich nutzbar zu machen und dennoch eine Kriminalisierung der Schulhöfe oder auch von Wissenschaft, Bildung und Forschung zu verhindern.
Das Problem ist komplex und daher sollte erst überlegt und diskutiert werden, bevor gänzlich falsche Signale gesetzt werden.