Deichbau zu Frankfurt gegen Filesharing-Abmahnwelle?
Gestern wurde via Heise eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zugänglich gemacht, die betroffenen Abmahnopfern der Musikindustrie wegen Filesharings Hoffnung machen wird. Das OLG Frankfurt a.M. hat die Forderungen des Rechtsanwalts der Musikindustrie zurückgewiesen und eine „generelle Überwachungspflicht“ des Internetanschlussinhabers verneint.
Ist damit das Ende der Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen eingeleitet?
Nein! Denn wenn man die Begründung dieser Entscheidung genau liest, stellt man fest, dass sich das OLG Frankfurt zwar sehr detailliert mit der bislang ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzt und auch kritische Töne hierzu anschlägt. Gleichwohl fordert es eine Überwachung des Anschlußinhabers gegenüber seinen Mitnutzern. Zudem sollte nicht übersehen werden, dass es sich um ein einstweiliges Verfügungsverfahren handelte.
Der betroffene Beklagte, ein Familienvater, wurde als Inhaber des DSL-Anschlusses und damit als sogenannter Mitstörer und nicht als Täter in Anspruch genommen.
Das OLG Frankfurt setzt sich sodann dezidiert mit den zumutbaren Prüfpflichten im Rahmen der Störerhaftung auseinander und läßt dabei im Gegensatz zu manch anderem Gericht deutlich mehr Sorgfalt und Sachkunde walten.
Passagen wie etwa in einem Urteil aus dem Jahr 2006, ergangen vor dem Landgericht Köln, finden sich im Frankfurter Urteil nicht. Die Kölner Richter formulierten zur Begründung zumutbarer Prüfpflichten des Anschlußinhabers:
„So hat der Verfügungsbeklagte zwar eigene Benutzerkonten für seine Kinder eingerichtet, er hat es aber versäumt, für die verschiedenen Nutzerkonten die individuellen Nutzungsbefugnisse festzulegen und dadurch ein Herunterladen der Filesharing-Software zu verhindern. Des Weiteren wäre auch die Einrichtung einer sog. „firewall“ möglich und zumutbar gewesen, durch die die Nutzung einer Filesharing-Software verhindert werden kann“.
Es muß bezweifelt werden, dass der oder die Autoren jener Zeilen wissen, was Sie da an technischem und tatsächlichem Unverständnis zum Ausdruck bringen. Es muß auch bezweifelt werden, dass ein Sachverständiger hierzu gehört worden ist. Ähnliche Merkwürdigkeiten lassen sich aber auch in anderen Urteilen zum Thema nachlesen, etwa aus Hamburg, in dem dem Anschlußinhaber der Betrieb eines unverschlüsselt sendenden Wireless LAN Routers als anspruchsbegründende Prüfpflichtverletzung vorgehalten worden war.
In unseren Augen ist es absurd von einem DSL-Anschlußinhaber – heutzutage ein Massenprodukt -, zu verlangen, sich mit dem Rechtemanagement seines PCs oder eingesetzten DSL-Routers derart umfassend auszukennen und diese etwa „sicher“ zu konfigurieren. Manch langjährig ausgebildeter Administrator würde sich vermutlich wünschen, derartiges bewerkstelligen zu können.
Was heißt sicher – im Zeitalter sich ständig modifizierender Schadsoftware bzw. neuer Tools und Dienste? Soll hier eine laufende Fortbildung, derjenigen von Administratoren gleichzusetzen, zur Vermeidung von Prüfpflichtverletzungen vorgeschrieben werden?
Warum finden sich derartige Regelungen in keinem vom DSL-Anschlußinhaber nachzulesenden Gesetz? Wie soll er wissen, wieviel Anstrengung er aufbringen muß, um seinen zumutbaren Prüfpflichten zu genügen? Im Urhebergesetz steht beispielsweise auch in der kürzlich verabschiedeten Neufassung des 2. Korbs keine Zeile davon.
Die großen Betriebssystemhersteller haben sich entschieden, die Systeme „offen“ und damit vermeintlich „unsicher“ auszuliefern. Soll der Privatanwender nunmehr über den Umweg der Anwendung des Urhebergesetzes nebst dem nicht im Gesetz ausdrücklich niedergelegten Institut der Störerhaftung dazu gebracht werden, dieses Unterlassen auszugleichen?
Das OLG Frankfurt greift in der Begründung seines Berufungsurteils eine Reihe der bislang ergangenen Rechtsprechung auf, äußert sich jedoch gegenteilig wie jene zitierten Gerichte. So folgt es nicht dem Landgericht Mannheim, das meint, der Anschlußinhaber habe Anlaß, „ihm nahestehende Personen wie enge Familienangehörige bei der Benutzung seines Anschlusses zu überwachen“. Hierzu würde auch nicht deshalb Veranlassung bestehen, wenn Urheberrechtsverletzungen im Internet häufig vorkommen oder in den Medien umfangreich darüber berichtet werden würde.
Gleichfalls vertritt das OLG Frankfurt zurecht, wie ich meine, die Meinung, dass der Ehemann seiner Ehefrau seinen Account – etwa für eine Handelsplattform überlassen kann, ohne dass er diese ständig überwachen müsse. Das stelle ohne Anhaltspunkte für das Vorliegen von Rechtsverletzungen keine Prüfpflichtverletzung vor und sei auf einen DSL-Internetzugang übertragbar.
Für das Frankfurter Gericht ist also mehr erforderlich, bevor der DSL-Anschlußinhaber in den Bereich zumutbarer Pflichtverletzungen gelangt.
Kritisch zu hinterfragen ist allerdings und aus diesm Grunde kann keinerlei Entwarnung gegeben werden, dass das Gericht dem DSL-Anschlußinhaber eine „sekundäre Darlegungslast“ auferlegt.
D.h. sobald er Kenntnis von einer Rechtsverletzung – etwa über eine Abmahnung – erhalte, habe er Angaben über diejenigen Personen zu machen, die den Verstoß über seinen DSL-Anschluß gemacht haben könne. Damit meint das Oberlandesgericht im Verfügungsurteil, dass der Familienvater die Mitglieder der Hausgemeinschaft und deren Zugriffsmöglichkeiten auf seinen Anschluß sowie, ob dieser durch eigene Passwörter geschützt sei, mitzuteilen habe.
Da im entschiedenen Fall der Betroffene diese Auskunft erteilt hatte, hielt das Gericht ihm keinen Verstoß gegen die ihn treffenden Überwachungspflichten vor.
Merkwürdig erscheint dabei, dass sowohl das Zivilprozessrecht als auch das Strafverfahrensrecht Zeugnisverweigerungsrechte gerade in Bezug auf Familienangehörige kennen. Diese Regularien kann man zudem im Gesetz nachlesen. Sollen diese Vorschriften über ungeschriebene „zumutbare“ (!) Prüfpflichten ausgehöhlt werden können? Ich halte dies für einen glatten Wertungswiderspruch zum geschriebenen Recht und daher für unzutreffend.
Böse Zungen könnten zudem formulieren, dass nach dem geplanten Bundestrojaner und der Onlineüberwachung durch den Staat, nunmehr eine Überwachungspflicht im Familienverbunde formuliert wird, die sich derzeit ebensowenig in einem nachlesbaren Gesetz wiederfindet wie in den genannten Fällen der staatlichen Überwachung.
Wollen wir einen solchen Überwachungsstaat? Werden auf diese Weise die rechtsstaatlichen Grenzen unseres Grundgesetzes nicht deutlich überschritten, das einen geschützten Kern des persönlichen Lebensbereichs kennt und den Familienverbund zu einem Verfassungsgut erhoben hat? Ist es wirklich notwendig, all diese fragwürdige Rechtsanwendung irgendwann vom Bundesverfassungsgericht aufheben zu lassen?
Mir scheint so, als hätte/n der/die zuständigen Richter überhaupt keinen blassen Schimmer von der Technik. Es ist immer nur von DSL die Rede, als sei dies ein Wunder der Technik, welches sie selbst nicht verstehen. Vielleicht täte eine Art Internetführerschein für Richter gut. :)
Zum Thema Überwachungsstaat hat der Vorsitzende Richter Papier des Bundesverfassungsgericht sehr deutliche Worte gefunden – zurecht – hier weiterlesen!