Überwachungsstaat unterliegt erneut vor dem Verfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut den Gesetzgeber hinsichtlich seiner Überwachungsgesetze in die Schranken verwiesen. Landespolizeigesetze zum Scannen von Autokennzeichen wurden für nichtig erklärt. Es fehlt an der Bestimmtheit und an der Verhältnismäßigkeit der Regelungen.
Kein Anspruch des Staates auf Überwachung seiner Bürger!
Auch wenn gerade seit dem 11. September 2001 das Bestreben des Staates zugenommen zu haben scheint, unter dem Deckmäntelchen der Terrorismusbekämpfung seine Bürger zunehmend umfassender überwachen zu wollen, weisen – zum Glück für die Bürger – die Gerichte den Gesetzgeber immer wieder in seine Schranken.
Ob es um die Durchsuchung und Überwachung von Computern und Festplatten geht, um die Flugsicherheit, das „auf Vorrat speichern“ von Telefon-, Internet- und Mobilfunkdaten, oder jüngst das Aufzeichnen von Autokennzeichen per Videoerfassung (vgl. spiegel online), immer geht es um die Frage, ob die Freiheitsrechte der betroffenen Bürger zu Recht aufgrund derartiger staatlicher Maßnahmen beschränkt werden dürfen.
Die Verfassung sieht mit den Grundrechten einen Katalog von Freiheitsrechten vor, die gerade den Bürger vor dem Staat schützen sollen. Nicht alles, was der Staat, etwa durch seine Polizei- und Ermittlungsbehörden zu Zwecken der Gefahrenabwehr oder zum Zwecke der Strafverfolgung an „ermittlungstechnischen Maßnahmen“ für wünschenswert erachtet, soll ihm tatsächlich verfügbar gemacht werden. So legten es die Väter des Grundgesetzes nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der NS-Zeit fest.
Dem Bundesverfassungsgericht obliegt als oberste Instanz in verfassungsrechtlichen Fragen die Kontrolle, ob der Staat, etwa in Form des Landesgesetzgebers, sich an die grundgesetzlichen Grenzen und Vorgaben hält. Insoweit wird das Verfassungsgericht auch als Hüter der Verfassung bezeichnet.
Zu Recht, wie gerade die jüngsten Wunschträume der „Staatsermittler“ zu erkennen geben.
Denn die Grenzen der Verhältnismäßigkeit werden zunehmend rücksichtsloser durch die Gesetzgeber auf Länder- und Bundesebene mißachtet. Als unvorhersehbar sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung (vgl. unsere Beiträge vom 27.2.2008 und vom 29.2.2008) sowie nunmehr zum Autokennzeichen Scanning nicht zu bezeichnen.
Vorliegend rügt das Verfassungsgericht, dass die automatisierte Erfassung von KFZ-Kennzeichen nicht ohne konkreten Anlaß erfolgen dürfen. Unzulässig ist es, derartige Erkenntnisse als Vorratsdaten in eine Datenbank wegzuspeichern, um sie dann später auf Bedarf hin zu sichten. Eine derartige reine Überwachungs- und Datenerfassungsmaßnahme greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.
Das Gesetz in Hessen sah immerhin eine Löschungspflicht vor:
„Die Polizeibehörden können auf öffentlichen Straßen und Plätzen Daten von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand automatisiert erheben. Daten, die im Fahndungsbestand nicht enthalten sind, sind unverzüglich zu löschen.“
Anders und deutlich weiter reichend im Sinne von Schaffung eines Datenvorrats reicht die Regelung in Schleswig-Holstein:
„Die Datenerhebung nach den Absätzen … darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind. Die angefertigten Bildaufnahmen, Bild- und Tonaufzeichnungen sowie sonstige dabei gewonnene personenbezogene Daten sind außer bei Maßnahmen nach Absatz 3 spätestens einen Monat nach ihrer Erhebung zu löschen oder zu vernichten. Dies gilt nicht, wenn sie zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung benötigt werden oder Tatsachen dafür sprechen, dass die Person künftig vergleichbare Straftaten oder Straftaten im Sinne des § 179 Abs. 2 begehen wird. Die Zweckänderung der Daten muss im Einzelfall festgestellt und dokumentiert werden. Eine Unterrichtung der unvermeidbar betroffenen Dritten im Sinne von Satz 1 und der von Maßnahmen nach Absatz 1 bis 3 Betroffenen unterbleibt, wenn sie innerhalb der in Satz 2 genannten Fristen nur mit unverhältnismäßigen Ermittlungen möglich wäre, insbesondere wenn dadurch eine Grundrechtseingriffsvertiefung zu befürchten ist oder wenn überwiegend schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen.“
Im privatwirtschaftlichen Umfeld agieren Betroffene und Kontrollinstitutionen rasch und nachhaltig, wie etwa StudiVZ nach Ankündigung seiner personalisierten bzw. Targeting-Werbemaßnahmen erfahren durfte (vgl. Heise Meldung vom 21.12.2007 sowie vom Heise Meldung vom 13.2.2008 (Abmahnung vzbv))
Wie wohl die betroffenen Länderbehörden in Hessen bzw. Schleswig-Holstein reagieren, wenn sie plötzlich mit Auskunftsersuchen und Schadensersatzforderungen wegen Verletzung des Datenschutzrechts der betroffenen Autofahrer konfrontiert werden würden?
Aufschlußreich sind zudem die Ausführungen des Gerichts zu der Frage, welche Daten vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erfaßt werden. In Bezug auf IP-Adressen ist dies längere Zeit in der Vergangenheit diskutiert worden.
In Bezug auf Autokennzeichen wurde jedoch Klarheit geschaffen, indem modern und den technischen Wandel im Blick haltend ausgeführt wird:
„Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr.“
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Betroffenen vor automatisierter Datenerfassung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung und das vor dem Hintergrund der heute möglichen technischen Verarbeitungsprozesse, so das Gericht. Insoweit erfährt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch das heutige Urteil eine Konkretisierung und Ausdehnung des Schutzbereichs. Die Ableitung von Bewegungsmustern mit Hilfe solcher gewonnen Daten wird dabei vom Gericht als zusätzliche Verschärfung der Grundrechtebeeinträchtigung dargestellt, mit der Folge, dass hierfür deutlich höhere Anforderungen an die gesetzlichen Voraussetzungen einer solchen Maßnahme zu knüpfen sind.
Diese Aussagen dürften Bedeutung für eine Reihe weiterer aktuell in Kraft getretener als auch in Vorbereitung befindlicher polizei- und strafprozessrechtlicher Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen haben und der jeweilige Gesetzgeber wäre klug beraten, die Einhaltung und Wahrung der Grundrechte nicht allein dem Verfassungsgericht zu überlassen.
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[…] die massenhafte Erfassung von Autokennzeichen für verfassungswidrig erklärt (vgl. unseren Beitrag vom 11. März 2008). Das Gericht stellte ausdrücklich fest, dass diese generelle […]
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